Die Macht der Gewaltfreiheit
Aus dem Französischen von Ingrid von Heiseler
Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, und
Internationaler Versöhnungsbund Deutscher Zweig 2008.
ImBuchhandel
Über das Buch: „Sich verteidigen, ohne anzugreifen“, „’böse werden’ ohne Aggressivität“, „sich entschädigen, ohne zu bestrafen oder sich zu rächen“ sind die Überschriften der drei letzten Kapitel. Im ersten Teil dagegen wird uns gezeigt: Wir alle agieren im
Entweder-Oder-System: Wir nehmen entweder die „Mehr-“ oder die „Minderposition“ ein. Unser
„Selbsterhaltungstrieb“ veranlasst uns dazu, die Mehrposition einzunehmen, denn, da wir keine dritte Möglichkeit kennen, müssten wir uns sonst mit der Minderposition abfinden. Der Selbsterhaltungstrieb ist neben der Verschiedenheit der Menschen und der Kommunikation eines der Elemente, die Pat Patfoort ihrem Konfliktmodell zugrunde legt. Indem wir versuchen, aus der Minderposition herauszukommen, setzen wir uns in die Mehrposition: entweder dem „Angreifer“ gegenüber – und bringen damit eine „Eskalation“ – oder einem unbeteiligten Dritten gegenüber – und bringen damit eine „Kette“ – in Gang, die sogar wieder zu uns zurückführen kann. Wenn wir uns nicht aus der Minderposition erheben können, richten wir unsere Aggressivität möglicherweise gegen uns selbst („Internalisierung“). Keins davon führt jedoch zum gewünschten Erfolg, denn dass das Mehr-minder-System „funktioniert“, ist „eine Illusion“ (Kapitel 9). Aber es gibt noch ein anderes System: das Gleichrangigkeitssystem. Es bietet uns eine „3. Art der Reaktion“. Die Gleichrangigkeitsposition ist die einzig „starke“, denn sie provoziert weder Gegenreaktionen (Eskalation) noch bringt sie eine „Kette“ in Gang.
Wer im Gleichrangigkeitssystem handelt, handelt gewaltfrei. Auch wenn es nicht immer eine 100%-ig gewaltfreie Lösung geben wird, bringt allein schon die Atmosphäre der
Gleichrangigkeit bzw. der Gewaltfreiheit, in der die Parteien gemeinsam nach Lösungen suchen, eine Annäherung der entgegengesetzten Positionen. Auf diese Weise können Konflikte gemeinsam mehr oder weniger gewaltfrei gelöst werden.
Die Art der Kommunikation spielt dabei die Hauptrolle, denn Menschen teilen einander – verbal und nonverbal – mit, welche Position sie dem anderen gegenüber einnehmen (wollen) und welche sie damit dem anderen zuweisen (wollen). Deshalb ist das kommunikative Handeln von besonderer Bedeutung.
Kommentar: Dieses Buch macht Epoche: Leserinnen werden ihr Leben einteilen in eine Zeit, bevor sie das Buch gelesen hatten, und in eine Zeit danach.
Das Buch liefert einfache Kategorien, mit denen unser täglicher Umgang miteinander ebenso wie der von Repräsentanten auf hoher politischer Ebene, ja ganzer Völker miteinander beobachtbar und beschreibbar wird. Damit, dass er beschreibbar wird, wird er beeinflussbar.
Allein schon die Lektüre des Buches ist durch seine Intensität und Eindringlichkeit eine Einübung in das Gleichrangigkeitssystem. Dazu kommen noch die angehängten Übungen, die zum Teil vermutlich sehr tief gehen. Der Übungsteil bezieht sich auf den Text des Buches, ist also nicht abzutrennen und einzeln zu verwerten. Mit Hilfe der Übungsanleitungen können Einzelne und kleine Gruppen ohne Leitung erfolgreich arbeiten (bzw. größere mit einer Gruppenmoderatorin, die keine zusätzliche Kompetenz braucht, da inhaltlich im Buch alles vorgegeben ist).
Anders als andere Anleitungen zu „erfolgreicher” Kommunikation legt das Buch den
Schwerpunkt auf die Beobachtung unserer Handlungsweise und steckt für das neue Handeln eher einen Rahmen ab, als dass es einfache Handlungsanweisungen gibt.
Man möchte das Buch jungen Paaren zur Hochzeit und Eltern zur Geburt ihres Kindes schenken! Für Lehrer sollte es zur Pflichtlektüre werden und es wäre auch als Klassenlektüre – etwa im Rahmen von Sozialkunde oder Friedenserziehung – geeignet. Unabdingbar wird es für das „Friedenstraining“ sein! (die Übersetzerin)
Über die Autorin: Die Belgierin Pat Patfoort, Jahrgang 1949, ist Anthropologin. Sie ist Trainerin und Mediatorin für Konflikttransformation und gewaltfreie Konfliktbearbeitung und Dozentin an Universitäten in Belgien, Italien, den Niederlanden, Schweden, Sapanien, den USA, Russland und anderen Ländern. Sie war Moderatorin von Dialog- und Versöhnungsprojekten bei Konflikten zwischen ethnischen Gruppen (u. a. im Kaukasus, Kosovo, Ruanda, Ost-Kongo und Senegal). Sie arbeitete mit Kindern, Jugendlichen, Eltern, Lehrern, Studenten, Strafgefangenen, Richtern, Polizisten, Gewerkschaftlern, Krankenschwestern u. a. Außerdem Zusammenarbeit mit Quäkern, katholischen Organisationen (z. B. Pax Christi und Caritas), der OSZE, dem Europarat, dem belgischen Außenministerium und der UNO.